Wein ist Freude: Hallo Alexandre! Vielen Dank, dass Du dir die Zeit nimmst und unsere Fragen zum Wein und zu eurem Familienweingut beantwortest. Wie war das Jahr 2018? War es ein guter Jahrgang nach dem schwierigen 2017er?
Alexandre Artigue: Nach einem komplizierten Start zu Beginn steht der Jahrgang 2018 auf der gleichen Stufe, wie die letzten sehr tollen Jahrgänge 2009 oder 2015 zum Beispiel. Ein außergewöhnlich guter September hat eine sehr schöne Reife und perfekte Bedingungen im Weinberg ermöglicht. Der sehr heiße Sommer mit gewittrigen Niederschlägen und Frühnebel hat allerdings die Ernte von einigen Winzern aufgrund von Mehltau zu großen Teilen zerstört, mehr noch als 2017 teilweise!
Wein ist Freude: Hatte der Frost 2017 einen negativen Einfluss auf die Reben langfristig gesehen und somit auch auf die Ernte 2018?
A. A.: Der Frost trat 2017 sehr lokalisiert auf, vor allem in Tälern und am Fuße von Anhöhen. In einigen Sektoren führte das zu großen Ernteverlusten. Allerdings waren die Temperaturen nur leicht negativ und die Äste und Stämme der Reben wurden nicht angegriffen. Bei uns hat der Frost also keine Auswirkungen auf 2018 oder die nächsten Jahrgänge.
WiF: Welcher ist dein persönlicher Liebling aus eurem Sortiment und warum?
A. A.: Ich mag natürlich alle unsere Weine gerne, die wir produzieren. Wenn ich aber einen auswählen muss dann unsere Cuvée Bio 100% Merlot, vor allem wegen seiner Frische, die ganze Aromatik und der Geradlinigkeit, die er ausstrahlt. (Die wahre Traube)
Diese Cuvée ist unser Baby, da die Produktion deutlich fragiler ist und deutlich mehr Aufmerksamkeit benötigt, den ganzen Sommer lang.
WiF: Welche ist persönlich deine Lieblingsrebsorte, warum?
A. A.: Meine Lieblingsrebsorte ist auf jeden Fall der Merlot, ich wurde damit schon im Fläschchen als Baby aufgezogen. Das ist natürlich nicht empfohlen! (lacht)
Ich mag vor allem seine Finesse am Gaumen und es ist einfach eine verlässliche Rebsorte, auch in schwierigen Jahrgängen.
WiF: Was ist deine Meinung zum Bio-Wein? Es ist sehr schwierig eine einheitliche Definition zu finden. Wie lautet Deine?
A. A.: Von Bio allgemein zu sprechen ist für mich zu einfach. Ich bevorzuge eher von der Arbeit zu sprechen, von der Rebe im Weinberg bis zum Keller der Winzer, die wir sind. Diese Arbeit besteht darin, seine Reben zu verstehen, richtig zu beobachten, zu antizipieren. Das alles zusammen ermöglicht uns, unsere tollen Lagen zur Entfaltung zu bringen.
Bio ist für mich für die Reben da zu sein und Sie zu respektieren. Von da an gibt die Rebe weit mehr zurück als die ganze investierte Zeit und die Vielzahl an schlaflosen Nächten, die sie einem bereitet.
WiF: Warum dann nicht direkt alle Weine « Bio » herstellen?
A. A.: Das ist natürlich unser Ziel mittelfristig. Aktuell können wir nicht die kompletten 30 Hektar Bio herstellen aus verschiedenen Gründen:
- Zunächst haben wir nicht das nötige Material um komplett 30 Hektar biologisch zu bewirtschaften. Diese Investitionen können wir aktuell nicht stemmen (ungefähr 100000€ Materialkosten)
- Biologischer Anbau ist sehr zeitintensiv und dafür fehlt es uns an Personal für 30 Hektar.
- Schlussendlich und vor allem braucht es neue Absatzmärkte, die wir aktuell noch nicht haben. Wir können keinen Biowein herstellen um ihn anschließend an Großhändler zu verkaufen. Wir müssen alles in Flaschen abfüllen um die Wertschöpfung zu steigern.
Aus diesen Gründen bevorzugen wir es uns mit der Umwandlung Zeit zu lassen und alle Prozesse und Techniken zu beherrschen, bevor die komplette Produktion in Bio umgewandelt wird.
WiF: Für welche speziellen Werte und welche Philosophie stehen die Vignobles Artigue? Welche Elemente möchtet ihr durch euren Wein weitergeben?
A. A.: Wir wünschen uns, dass der Konsument vor allem Freude beim Verkosten empfindet, durch großzügige und schmackhafte Weine. Unsere Weine sind schlicht das Ergebnis von qualitativ hochwertigen Böden und Weinbergen, dem „Terroir“, der Reinheit der Trauben und einer technischen Präzision ohne Schnickschnack.
WiF: Welcher Wein stand auf dem Tisch der Familie Artigue an den Weihnachtsfeiertagen?
A. A.: (lacht) Wie jedes Jahr: Wir beginnen das Weihnachtsessen mit einem Entre-Deux-Mers Sauvignon Blanc zu Austern und Meeresfrüchten. Anschließend geht es mit einem großen Sauternes weiter zur Foie Gras. Wir machen dann weiter mit einem Château des Laudes Saint-Emilion Grand Cru 2015, der noch nicht im freien Verkauf ist, aber man muss ja vorher probieren. (zwinkert) Er passt hervorragend zu Fleischgerichten. Am Ende beschließen wir das Essen mit einem kleinen Digestif, einem Cognac oder Armagnac. Wie Du siehst haben wir immer ein sehr straffes und volles Programm!
WiF: Welcher Wein, den du jemals probiert hast, hat Dich am Meisten beeindruckt und zu welcher Gelegenheit?
A. A.: Der Wein, den ich probieren durfte und mich am Meisten beeindruckt hat, war ein Château Yquem 1989 zu meinem Geburtstag. Über seine unbestrittene Qualität hinaus ist es für mich einfach ein legendärer Wein.
WiF: Die Mischung von Rebsorten zu einer Assemblage ist in Deutschland häufig negativ besetzt, vor allem, weil es in Deutschland hauptsächlich sortenreine Weine gibt. Kannst Du für unsere deutschen Weinfreunde in ein paar Worten die Komplexität und die Vorteile einer Assemblage erklären?
A. A.: Ich verstehe die doppelte Wahrnehmung und die Doppeldeutigkeit einer Rebsortenmischung, die auftreten kann. Zunächst einmal ist wichtig zu verstehen das eine Mischung in Bordeaux oder auch woanders nicht heißt, dass wir zum Beispiel Wein hinzu kaufen und in unsere Produktion mischen. Diese Verwechslung kommt häufig von Verschnittweinen von Großhändlern, sogenannte Markenweine, wie zum Beispiel Mouton Cadet oder JP Chenet.
Als unabhängiger Winzer und Weinproduzent von Weinen mit geschützter Herkunftsbezeichnung, wie in Bordeaux, stehen wir unter ständiger Kontrolle.
Die Assemblage ist der Schlüssel, um Weine mit größerer aromatischer Tiefe zu produzieren.
Alle unsere Weine sind mehrheitlich Merlotweine zu ungefähr 80%, aber bei meiner Cuvée Prestige zum Beispiel, sorgt der Cabernet Sauvignon für ein intensiveres und längeres Finale am Gaumen und mehr Körper. Das ist vor allem auch für die Abstimmung von Wein und Speisen wichtig.
Von der technischen Seite betrachtet ist noch wichtig zu wissen, dass die Zusammenführung der einzelnen Bestandteile erst am Ende mit dem fertigen Wein durchgeführt wird. Während der Weinbereitung werden die Weine alle separat hergestellt, d.h. jede Parzelle und jede Rebsorte in verschiedenen Tanks.
WiF: Man spricht viel von asiatischem Einfluss auf dem bordelaiser Weinmarkt sei es in Bezug auf Investment oder in Bezug auf Absatz. Wie siehst du diesen neuen Trend? Eher als Chance oder als Bedrohung für Winzer wie euch?
A. A.: Wieso mehr Angst vor den Asiaten haben als vor Amerikanern oder Engländern, die vor 20 Jahren schon viel in unserer Region investiert haben? Das kommt vielleicht von unserer westlichen Weltanschauung. Man darf nicht vergessen, dass die Asiaten angefangen haben Bordeaux zu kaufen, als Bordeaux enorm viele Marktanteile verloren hat, vor allem auf den traditionellen Märkten, wie England, Belgien, USA und selbst in Deutschland. Durch den asiatischen Markt sind viele kleinere aber auch größere Winzer Ende der 2000er Jahre vor dem Konkurs bewahrt worden. Man darf nicht vergessen, dass in dieser Zeit der Preis für ein Fass (900l) AOP (Appellation d’origine protégée) Bordeaux bis auf 800€ gefallen ist, also auf 90 Cent den Liter Bordeaux-Wein. Das ist weit unter den Produktionskosten!
Der asiatische Markt hat sich genau in diesem Moment aufgetan und war wie ein Rettungsanker für viele von uns. Zunächst wurden in Asien vor allem weniger qualitative Massenweine gekauft, bis sich der Markt hinzu anspruchsvolleren und qualitativeren Weinen entwickelte. Der Anspruch der Konsumenten wuchs auch stetig. Heute werden auf dem asiatischen Markt hauptsächlich Weine im mittleren Preissegment abgesetzt. Für uns war der Markt eine Chance Anfang der 2010er Jahre. Jetzt müssen wir versuchen die Marge dort schrittweise zu erhöhen.
WiF: Weinfreunde mögen praktische Tipps. Welcher ist deiner Meinung nach die beste Speiseempfehlung zu Deinen Weinen?
A. A.: Hier kann ich zwei Kombinationen empfehlen:
Dieser sehr frische und extrem aromatische Wein ist zu empfehlen unter Freunden zu einer Schinken-Wurstplatte. Er kann etwas kühler als normal getrunken werden.
Für diesen Wein empfehle ich auf Rebschnitt gegrilltes Entrecôte mit Schalottenzwiebeln. Grillt das Fleisch auf dem Rebschnitt, dann die Zwiebeln hinzugeben und anschließend das Fleisch mit einer Rotweinsoße genießen. Guten Appetit, genießt diese tollen Momente, die Ihnen der Wein schenkt.
WiF: Außerhalb von Bordeaux, welcher Wein gefällt Dir am besten?
A. A.: Seit jetzt ungefähr 10 Jahren sind wir regelmäßig auf Märkten und Weinmessen. Dadurch können wir auch häufig Weine verkosten, die nicht aus Bordeaux kommen. Hier gefallen mir insbesondere die Châteauneuf-du-Pape und die Gigondas-Weine. Sagen wir allgemein die roten, die die Rhône entlang abwärts von Avignon bis nach Valence angebaut werden.
WiF: Was die Verschlüsse der Weinflaschen angeht habt ihr immer noch traditionell Naturkork auf euren Flaschen, wie viele andere Weingüter in Bordeaux und dem gesamten Südwesten Frankreichs. Glaubst du, dass das ausschließlich traditionelle Gründe hat? Gibt es Überlegungen andere Verschlüsse zu testen, vor allem für die Weißen und den Rosé?
A. A.: Für unsere roten Bordeaux und Saint-Emilion-Weine werden wir wohl immer bei Naturkork bleiben. Vor allem, weil das natürlich einer gewissen Tradition entspringt und auch, weil es Teil des Markenimages dieser Weine ist. Auf der technischen Seite ist es sehr empfehlenswert bei Lagerweinen, die 10 Jahre oder mehr lagern können, Naturkork zu verwenden.
Für die Weiß- und Roséweine verwenden wir sogenannte Oberflächenkorken «1+1». Hier ist nur die Oberfläche auf beiden Seiten aus Naturkork, also die beiden Seiten die mit der Luft und auf der anderen Seite mit dem Wein in Kontakt ist. Diese Korken können für Weine mit geringer Lagerfähigkeit verwendet werden.
WiF: Vielen Dank für diesen interessanten Einblick! Frohes neues Jahr 2019 und natürlich einen tollen Jahrgang 2019!